Samstag, 31. Mai 2014

Dimitri Glukhovski, Futu.re

Wieder einmal Gedanken zu einem Buch, diesmal aber garantiert kein Gemecker! 

Die Handlung spielt in einer Zukunft, in der sich ein Menschheitstraum erfüllt hat: der Tod ist abgeschafft. Der Menschheit ist es gelungen, den Tod zu kurieren wie eine gewöhnliche Krankheit. Niemand muss mehr altern, alle können jung und gesund bleiben mit der Behandlung. Europa hat daraus ein Menschenrecht auf ewiges Leben abgeleitet; alle Menschen, die hier geboren werden, haben ein Recht auf die Heilung vom Tod. Andere Erdteile gehen anders mit dieser Möglichkeit um. In Nordamerika z.B. muss man sich dieses Recht kaufen, in Russland ist die Unsterblichkeit nur der Führungselite vorbehalten.

Was so idyllisch klingt, hat allerdings extreme Konsequenzen.

Das Recht auf ewiges Leben in Europa brachte eine ungeheure Bevölkerungsexplosion mit sich. Die 130 Milliarden Europäer müssen dann irgendwo leben. Und sie tut es in Wohntürmen aus Komposit, die bis zu 2 km hoch den gesamten Kontinent überziehen. Alte Städte wurden teils überbaut, teils als ebenerdiges Museum integriert. Einige Sehenswürdigkeiten wurden auf eigene Etagen verfrachtet, das meiste aber für die Türme zerstört. 

Trotz der gigantischen Türme herrscht eine drangvolle Enge. Es ist klar, dass es kein unbegrenztes Wachstum geben kann. Um den Zuwachs der Bevölkerung zu stoppen, haben die Herrscher in Europa "die Wahl" eingeführt: Eltern, die ein Kind zeugen, müssen sich entscheiden, wer für das Kind auf seine Unsterblichkeit verzichtet. Ein Elternteil darf weiterleben, dem anderen wird ein Altersbeschleuniger verabreicht. Damit kann man noch ca. 10 weitere Jahre leben, allerdings altert man rapide, bis man am Ende zugrunde geht: eine Infektion mit dem Tod. Wer bei dem Versuch ertappt wird, heimlich Kinder groß zu ziehen und diese nicht registrieren zu lassen, wird sofort mit dem Altersbeschleuniger behandelt. Die betreffenden Kinder werden ihren Eltern weggenommen und in staatlichen Internaten erzogen.

Die Vollstrecker dieser Bestrafung sind die sogenannten "Unsterblichen". Sie sehen sich als Elite, die den Menschen die Unsterblichkeit garantiert und rekrutieren sich aus den Kindern, die den Straftätern weggenommen und in den Internaten erzogen worden waren, moderne Janitscharen. Sie sind erbarmungslos und dem System treu ergeben, fast wie ein Staat im Staate. 

Die Hauptfigur ist ein solcher Unsterblicher. Jan wurde seiner Mutter geraubt, ist in einem Internat aufgewachsen, hat alle Prüfungen der Ausbildung bestanden und arbeitet nun als Mitglied eines Teams von 10 Leuten. Er ist nicht ganz so gnadenlos wie die anderen, leidet unter Klaustrophobie. Aufgrund seiner Herkunft hat er eine schwer gestörte Persönlichkeit. Er versucht wie die anderen Karriere zu machen und ist voll freudiger Erwartung, als er von einem hohen Mitglied der Regierung einen Spezialauftrag zugewiesen bekommt. Dieser Auftrag erweist sich aber als viel schwieriger, als erwartet. Der Leser begleitet Jan dabei, wie dieser sich immer weiter in seine eigenen Widersprüche verstrickt und mit dem System in Konflikt gerät. Teils durch äußere Einflüsse, aber auch aus eigenem Verschulden kollidiert seine Weltsicht immer heftiger mit der Realität. Stück für Stück erkennt er, wie grausam diese unsterbliche europäische Gesellschaft ist und beschließt am Ende mit allem Schluss zu machen.

Damit soll auch schon genug von der Geschichte verraten sein. Sie lohnt sich wirklich. Glukhovski ist ein hervorragender Erzähler, dessen Figuren überaus überzeugend sind. Nur die teils ausufernden Monologe, in denen Jan mit sich, der Welt und seinem Schicksal hadert, sind manchmal etwas zäh. Nach meinen Erfahrungen mit anderen Autoren, fallt das bei diesem Buch allerdings nicht ins Gewicht.

Der Plot der Geschichte wirkt sehr glaubwürdig, es wundert mich nur etwas, dass Glukhovski den Versuch, ein unsterbliches Paradies zu errichten, nach Europa verlegt. Das ist entweder ein Marketing-Trick oder er kann es sich einfach nicht vorstellen, dass in Russland oder Amerika irgend jemand jemals auf die Idee käme, zu versuchen, für alle Menschen kostenlos ein Idyll zu errichten, auch wenn es letztlich vergeblich ist. Die Konsequenzen der Unsterblichkeit sind fast unausweichlich und ähneln am Ende denen, die auch schon Cordwainer Smith für seine unsterbliche Gesellschaft gefunden hatte.

Insgesamt bin ich wirklich begeistert von Futu.Re und von Glukhovski. Wer will, kann das Buch als dystopische Parabel ansehen auf die ungleiche Verteilung des Reichtums in der Welt, auf die Vergeblichkeit, von Fortschritt zu träumen. Darauf, wohin mit guten Vorsätzen gepflasterte Wege führen können oder dass letzten Endes nur wir Menschen die Geschichte machen. Darüber hinaus ist das Buch aber auch eine wirklich spannende, faszinierende Geschichte, die mit ihren knapp 1000 Seiten lange Unterhaltung garantiert. 

Es ist wunderbar, dass Glukhovski nach den genialen Werken 2033, 2034 und Sumerski nicht der Versuchung erlegen ist, die Moskauer U-Bahn-Welt bis in Ewigkeit wiederzukäuen (das soll er wie gehabt anderen überlassen), sondern sich etwas Neues hat einfallen lassen. Ich wünsche ihm noch eine lange Zeit mit vielen solchen Ideen, nur keine Ewigkeit.

Fazit: unbedingt kaufen, verschenken und wieder kaufen.

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